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Abstand halten? Unmöglich!

Flüchtlingslager in Calais
Datum:
Veröffentlicht: 25.4.20
Von:
Eva Vogel

Weder Wasser noch Seife gibt es im Flüchtlingslager in Calais, berichtet Eva Vogel von der DPSG aus Nürnberg

Weder Wasser noch Seife gibt es im Flüchtlingslager in Calais, berichtet Eva Vogel von der DPSG aus Nürnberg
Flüchtlingslager in Calais

Auch in Nordfrankreich (Calais und Dünkirchen) leben noch immer schätzungsweise 1500 Geflüchtete, die versuchen, nach Großbritannien zu gelangen. Die Lage dort war schon vor Beginn der Coronakrise hart, hat sich aber deutlich verschärft: Die Menschen leben in Camps in der Stadt, einige von ihnen ohne Zelt und Schlafsack. Die hygienischen Bedingungen sind furchtbar: Menschen leben dicht gedrängt aneinander, es gibt keinen Zugang zu Wasser, Seife, Desinfektionsmitteln, Schutzhandschuhen oder Schutzmasken.

Um an Nahrung zu gelangen, müssen die Menschen sich in lange Schlangen anstellen. Da die Polizei die Camps immer weiter einzäunt, werden die Lager immer kleiner und dichter. Mehrere Leute müssen sich Zelte teilen. Außerdem leiden viele Leute an Vorerkrankungen, was das Virus für sie noch gefährlicher macht. Viele Menschen fürchten sich vor der Verbreitung des Virus und haben keinerlei Möglichkeit, sich davor zu schützen.

Es wurde schon von einigen Fällen aus den verschiedenen Camps berichtet, doch bisher scheint die Situation noch nicht völlig außer Kontrolle zu sein. Andererseits werden auch keine Tests zur Verfügung gestellt, sodass die tatsächliche Infektionsrate wahrscheinlich deutlich höher ist.  Da es keine Entsorgungsmöglichkeiten gibt, liegt überall Müll herum, welcher Unmengen an Ratten anlockt.

Das alles kommt zu den täglichen Evakuierungen durch die Polizei, bei denen sie den Geflüchteten Zelte, Kleidung oder Schlafsäcke wegnimmt und die schon vor der Corona-Krise stattfanden.  Seitdem mussten viele NGOs ihre Arbeit einstellen oder reduzieren.

Collective Aid, die Organisation, für die ich arbeite, verteilt normalerweise verschiedene Non Food Items wie Kleidung, Schuhe, Zelte und Schlafsäcke. Um größere Menschenansammlungen zu vermeiden, haben wir seit Beginn des Lockdowns keine solchen Verteilungen mehr durchgeführt. Stattdessen laufen wir am frühen Morgen durch die Camps, um Menschen zu finden, die draußen schlafen. Denen geben wir dann ein Zelt und Schlafsäcke. Das macht angesichts der geltenden Regeln Sinn, bedeutet aber auch, dass viele Geflüchtete seit fünf  Wochen keine Kleidung mehr bekommen haben.

Gleichzeitig wird es wegen der abgesagten Festivals für uns schwierig sein, an Zelte für den nächsten Winter zu kommen. Bisher wurden die dort weggeworfenen Zelte oft an unsere Organisation gespendet. Die Refugee Community Kitchen, die jeden Tag eine warme und nahrhafte Mahlzeit verteilt hat, musste ihre Arbeit vor vier Wochen komplett beenden. Seitdem bekommen die Bewohner*innen nur noch ein Essenspaket, das aus einem Baguette, Joghurt und manchmal etwas Obst besteht.Dafür müssen sie oft mehrere Stunden dicht aneinander gedrängt anstehen.

Auch die Polizeigewalt gegenüber den Geflüchteten ist seit Beginn des Lockdowns massiv angestiegen: Mehrere Refugees wurden tagsüber auf dem Weg zur Essensverteilung scheinbar grundlos mit Tränengas angegriffen und mit Schlagstöcken verprügelt. Die französische Polizei behindert auch unsere Arbeit massiv: Freiwillige werden ständig angehalten, beschimpft und ungerechtfertigt mit Bußgeldern bedroht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass durch den Lockdown weniger Französ*innen auf den Straßen unterwegs sind – und sich die Polizei deshalb unbeobachtet fühlt.

Obwohl der französische Staat dafür verantwortlich ist, dass Wohnungslose eine Unterkunft für die Zeit des Lockdowns bekommen, scheinen die Unterkünfte mit gerade einmal 200 Menschen bereits voll zu sein. Für mich ist es unvorstellbar, wie die Situation in Moria sein muss, wo über 25mal so viele Leute sind wie hier.

Flüchtlingslager in Calais