Seit 20 Jahren Erzbischof von Bamberg

Erzbischof Ludwig Schick im Interview

Es ist der 21. September 2002, als Dr. Ludwig Schick, zuvor Generalvikar und Weihbischof in Fulda, im Kaiserdom zum Erzbischof von Bamberg geweiht wird. Seit 20 Jahren ist er nun der Bamberger Oberhirte. Anlass für das Heinrichsblatt, mit Erzbischof Schick ein ausführliches Interview zu verschiedenen Themenbereichen zu führen.
Herr Erzbischof, Sie sind nun seit 20 Jahren Bamberger Oberhirte. Drei Dinge, die für Sie in den vergangenen beiden Jahrzehnten am prägendsten waren?
Erzbischof Schick:
- Die Verleihung des Palliums in Rom 2003 durch den heiligen Papst Johannes Paul II
- 2007 das Jubiläum 1000 Jahre Bistum Bamberg „Kirche unterm Sternenmantel“
- Die Wahl zum Vorsitzenden der Kommission Weltkirche 2006
Alle drei Ereignisse waren sowohl für mich als auch für das Erzbistum Bamberg bedeutend, weil wir dadurch mehr apostolisch und missionarisch, mehr katholisch und eins mit der Weltkirche geworden sind.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag ihrer Ernennung zum Erzbischof und an Ihre Amtseinführung am 21. September 2002?
Erzbischof Schick: Mir sind die vielen Bamberger Priester und die Bischöfe von überall her, die mich im Bischofshaus abholten, vor Augen sowie die Repräsentanten aus der Ökumene, der Politik und der Weltkirche im Dom. Ich sehe vor mir die vielen Bekannten und Freunde sowie meine Familie, die aus Fulda mitgekommen waren. Alle hatten frohe und erwartungsvolle Gesichter. Ich höre noch immer die guten Worte und Wünsche, die mir an diesem Tag gesagt wurden.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen im Erzbistum während Ihrer Amtszeit?
Erzbischof Schick: In den ersten fünf Jahren mussten die Beschlüsse des Bamberger Pastoralgesprächs umgesetzt, ein Pastoralplan erstellt und die Finanzen konsolidiert werden. Dann war das Bistumsjubiläum 2007 und das Domjubiläum 2012. Dankbar wurde in dieser Zeit auf das reiche Erbe zurückgeblickt und sich für die Zukunft aufgestellt. 2012 - 2017 wurden dann Umstrukturierungsprozesse im Bistum zunächst mit der Bildung von 95 Seelsorgebereichen vorgenommen, auch neue Ausbildungskonzepte für Priester, Diakone, pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden erstellt. Es war eine Zeit der Ertüchtigung in der Pastoral. Von 2017 bis heute wurden noch einmal Umstrukturierungen vorgenommen und die 35 Seelsorgebereiche gebildet sowie die Pastoralkonzepte erstellt.
Die Zeit von 2002 - 2022 war auch eine Zeit des Bauens: Das Priesterseminar in Bamberg wurde generalsaniert und das Seminar St. Paul am Dutzendteich in Nürnberg umgestaltet. Alle Schulen in der Trägerschaft des Erzbistums wurden um- oder neugebaut in Nürnberg, Bamberg und Schillingsfürst. Der Knock wurde umstrukturiert und der Feuerstein saniert.
Ich habe die 20 Jahre als Perioden von jeweils fünf Jahren mit verschiedenen Aspekten, Herausforderungen und Aufgaben erlebt. Dankbar blicke ich auf diese Zeit zurück, besonders auf meine guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pastoral und in der Verwaltung.
Die Strukturreform mit der Einführung von 35 Seelsorgebereichen ist organisatorisch abgeschlossen. Welche Bilanz ziehen Sie?
Erzbischof Schick: Die 35 Seelsorgebereiche wurden gebildet aufgrund der veränderten Situation. Die Zahl der Katholiken nimmt ab, entsprechend auch die Zahl der Priester und pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die finanziellen Ressourcen werden knapper, neue gesetzliche Vorgaben im Personal- und Verwaltungsbereich müssen umgesetzt werden. Die Seelsorgebereiche wurden vor allem gebildet, um die Seelsorge bei diesen veränderten Bedingungen bestmöglich zu gewährleisten, in der Verkündigung, in den Gottesdiensten, in der christlichen Gemeinschaftsbildung und der karitativen Arbeit. Priester, Diakone, pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollten und sollten besser kooperieren, charismenorientiert arbeiten und von Verwaltungsaufgaben entlastet werden. Dafür wurden die hauptamtlichen Verwaltungsleiter eingestellt und die Umstrukturierungen der Pfarrsekretariate vorgenommen. Im Großen und Ganzen hat sich die Einführung der 35 Seelsorgebereiche bewährt, jetzt ist es wichtig sie noch mehr zu aktivieren. Wir haben dabei die Pfarreien und Filialen in ihrer Struktur beibehalten. Die Kirche soll vor Ort bleiben. Durch Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen im Seelsorgebereich sollen überall lebendige Zellen kirchlichen Lebens gebildet werden. Die Kirche soll im Dorf bleiben, aber über den eigenen Kirchturm hinausschauen.
In Ihrer Amtszeit haben Sie verschiedene Stiftungen ins Leben gerufen und Stiftungen Ihres Vorgängers weitergeführt. Wie wichtig ist diese Unterstützung gerade auch in der heutigen Zeit?
Erzbischof Schick: Stiftungen sind wichtig. Ich habe die Stiftung „Brot für alle Menschen“, die landwirtschaftliche Projekte besonders in Afrika, aber auch in Lateinamerika sowie in Osteuropa unterstützt und die „Familienstiftung Kinderreich“ ins Leben gerufen. Dadurch werden Gelder akquiriert und sinnvoll eingesetzt. Zugleich bleiben durch die Stiftungen auch die Themen im Bewusstsein. Es muss uns Christen ein Anliegen sein, dass alle Menschen auf der Erde Brot haben. Wenn wir 800 Millionen Hungernde verzeichnen müssen, unter diesen vor allem Kinder, dann ist das eine Schande, die aber beseitigt werden kann, wenn wir solidarisch das Brot mit allen Menschen teilen. Dabei will die Stiftung „Brot für alle Menschen“ mitwirken.
Familien sind Halt und Stütze der Gesellschaft. Sie bereiten den Kindern die Zukunft und sind die Lebensquellen der Gesellschaft. Meine „Familienstiftung Kinderreich“ will das Thema Familie, ihren Wert und ihre Bedeutung im Bewusstsein halten und kinderreiche Familien in ihren Freuden, aber auch in ihren Sorgen unterstützen. Dann haben wir zum Beispiel noch die „Ehrenamtsstiftung“. Ohne Ehrenamt ist kirchliches Leben nicht denkbar.
Die deutsche Kirche ist gerade auf einem „Synodalen Weg“. Welche Rolle spielt der Gesprächsprozess in der Erzdiözese Bamberg und vor Ort in den Pfarreien?
Erzbischof Schick: In unserer Erzdiözese gibt es bereits jetzt viele Formen der Synodalität. Die Pfarrgemeinderäte, die Seelsorgebereichsräte und die Verwaltungsräte sowie der Diözesanrat und der Kirchensteuerausschuss, die aktiv das Leben der Kirche vor Ort und im Erzbistum mitbestimmen, leben Synodalität. Am Synodalen Weg, den die Kirche in Deutschland derzeit geht und am Synodalen Prozess, den der Papst eingeleitet hat, nehmen wir aktiv teil. In einem Hirtenwort habe ich dazu aufgerufen.
Sie haben die Bistumspartnerschaft mit dem Thiès im Senegal ins Leben gerufen. Wie lassen sich nach Corona die Kontakte wieder intensivieren, planen Sie einen erneuten Besuch dort?
Erzbischof Schick: Die Bistumspartnerschaft mit Thiès im Senegal ist uns sehr wichtig und ist auch während der Corona-Zeit durch Telefonate, Videokonferenzen, aber auch durch einzelne Besuche weitergeführt worden. Jetzt wird sie wieder verstärkt durch persönliche Begegnungen wahrgenommen. Bischof André Gueye aus Thiès war in den letzten Tagen hier, ich beabsichtige im nächsten Jahr nach Thiès zu fahren.
Sie waren viele Jahre lang Vorsitzender der Weltkirche-Kommission der Bischofskonferenz. Was waren Ihre schönsten Erlebnisse und Begegnungen als katholischer „Außenminister“?
Erzbischof Schick: Als Vorsitzender der Weltkirchenkommission habe ich viele Reisen unternommen. Schön wurden die Reisen immer durch die Dankbarkeit der Menschen, die wir besuchten. Besonders dankbar waren die Ärmsten unter ihnen, die Kinder und Jugendlichen in den Flüchtlingslagern im Libanon und in den Kellern in Aleppo in Syrien, in den Slums in Nairobi/Afrika und an vielen anderen Orten. Die wichtigste Aufgabe als „Außenminister“ war für mich, den Menschen Mut zu machen, ihnen konkrete Hilfe zur Selbsthilfe zukommen zu lassen und ihnen Solidarität aus christlicher Nächstenliebe zu zeigen, ganz besonders den Ärmsten der Armen, den Verlassensten unter den Verlassenen, den Geringsten unter den Ausgegrenzten. Ich habe mich als „Außenminister“ immer mehr als „Entwicklungsminister“ verstanden, der dazu beiträgt Entwicklung zum Besseren zu ermöglichen.
Sind Sie wehmütig, das Amt nicht mehr innezuhaben?
Erzbischof Schick: Ich habe das Amt sehr gerne ausgeübt. Aber ich bin mehr ein rationaler Mensch. Im September 2021 habe ich es in andere Hände gegeben, weil ich mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr fünf Jahre Diözesanbischof sein werde und der Vorsitzende der Kommission Weltkirche auf fünf Jahre gewählt wird. Deshalb habe ich im vorigen September mein Amt in andere Hände übergeben.
Gibt es heute noch Kontakte aus dieser Zeit, die weiterbestehen und die Ihnen wichtig sind?
Erzbischof Schick: Viele Kontakte bestehen weiter. Ich schreibe viele E-Mails, führe Telefonate, bekomme viel Besuch und mache Besuche. Derzeit ist Kardinal Álvaro Ramazzini aus Guatemala bei mir. Diese Woche habe ich mit Erzbischof Sebastian Francis Shah aus Lahore in Pakistan telefoniert. Mit dem Bischof von Odessa maile ich derzeit alle 14 Tage. Die Beziehungen, die ich in dieser Zeit geschenkt bekommen habe, sind zu Freundschaften geworden, die bleiben.
Wenn Sie heute auf die Situation in der Welt blicken, wird Ihnen da nicht angst und bange?
Erzbischof Schick: Die Gesamtsituation in unserer Welt macht mich besorgt. Wir haben einen Krieg vor der Tür, in der Ukraine, der Europa und die ganze Welt bedroht; aber es ist nicht der einzige Krieg. In Afrika gibt es Kriege, in Asien ebenso. Friedensinitiativen und Friedensarbeit sind derzeit äußerst nötig und gefordert. Die Energiekrise belastet die ganze Welt und ebenso der Klimawandel. Wir haben große Herausforderungen. Viele Gesellschaften sind gespalten. Um die Krisen zu bewältigen, ist der Geist des Evangeliums von großer Bedeutung. Gerade jetzt sind wir als Christen gefordert, mit unserem Vertrauen auf Gott, unserer aktiven Hoffnung und grenzenlosen solidarischen Nächstenliebe.
Sie sind einer der dienstältesten Bischöfe in Deutschland. Wie hat sich die Bischofskonferenz in den Jahrzehnten verändert? Ist sie gut für die Zukunft aufgestellt?
Erzbischof Schick: Viele jüngere Bischöfe sind in den letzten Jahren eingesetzt worden. Sie kommen mit anderen Erfahrungen und Ideen, sie wollen die Kirche zum Werkzeug der Verkündigung der Frohen Botschaft, lebensdienlicher Gottesdienste und hilfreicher Caritas machen. Große Herausforderungen stehen vor ihnen. Mit ihnen zusammen möchte ich die Zukunft der Kirche gestalten und dabei die Erfahrungen aus 25 Bischofsjahren einbringen. Noch einmal: die Botschaft des Evangeliums, lebensdienliche Gottesdienste, die solidarische, barmherzige Caritas sind derzeit so nötig wie immer, gegenwärtig sogar besonders. Die Bischöfe sollen Wegweiser und Motoren dafür sein.
Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich im Umbruch. Wo sehen Sie die größten Probleme, wo die größten Chancen?
Erzbischof Schick: Wir befinden uns derzeit weltweit gesellschaftlich und kirchlich in einer Phase der Neuorientierung. Wir müssen uns als katholische Kirche auf die vier Kennzeichen des Glaubensbekenntnisses besinnen: Einigkeit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität. Darüber müssen wir theologisch, spirituell, pastoral und auf allen Ebenen neu nachdenken. Dann wird die Kirche konsolidiert und kooperativ in die Zukunft gehen und den Menschen missionarisch-karitativ dienen können.
Erschüttert wird die Kirche unter anderem durch die Missbrauchsskandale. Der Bericht aus München hat große Diskussionen ausgelöst. Wann ist mit einem Bericht aus Bamberg zu rechnen, und wie sieht es mit der Präventionsarbeit aus?
Erzbischof Schick: Der Missbrauchsskandal hat bei mir eine tiefe Erschütterung ausgelöst, und vor allem durch die persönlichen Gespräche, ein schmerzliches Mitleiden mit den Opfern und Betroffenen. Außerdem quält mich immer wieder neu die Frage: Wie konnte es dazu in der Kirche kommen, wie können Priester solche Untaten begehen? Die „Unabhängige Aufarbeitungskommission“ des Erzbistums befasst sich mit einer Aufarbeitungsstudie, was von der Bistumsleitung unterstützt wird. Die Prävention haben wir schon vor Jahren begonnen und führen sie fort.
Die Kirchenaustrittszahlen erreichen zum Teil schwindelerregende Höhen. Was kann die Kirche tun, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen?
Erzbischof Schick: Die Kirchenaustritte sind erschreckend und tun weh. Wir sollten sie aber auch realistisch und rational sehen und beurteilen. Kirchenaustritte erfolgen aus sehr verschiedenen Gründen. Man muss alles tun, um mit den Ausgetretenen im Gespräch zu bleiben. Wir müssen ihre Gründe und Anliegen hören. Sie sollten auch im Synodalen Prozess mitmachen, auch wenn sie nicht mehr nominell Kirchenmitglieder sind, ihre Gründe, Vorstellungen und Anliegen sind wichtig. Denen, die zur Kirche gehören und das sind Gott sei Dank viele, wünsche ich, dass sie frohe Christen sind und ihren Glauben dankbar leben, ihn mehr mit Taten als mit Worten bezeugen. Ich wünsche mir gute Priester und Diakone, pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die authentisch leben, spirituelle Menschen sind, gute Kommunikation mit allen pflegen und so für den Glauben werben. Unsere ganze Einstellung zu den Menschen darf nicht sein: rekrutieren, sondern evangelisieren.
Zölibat, Frauenweihe, Ämter auf Zeit: Immer wieder sind Sie mit Reformvorschlägen für die Kirche an die Öffentlichkeit getreten. Ist es schwierig, den Gläubigen zu verdeutlichen, dass Veränderungen ihre Zeit brauchen?
Erzbischof Schick: Wenn die Gläubigen bei dem Synodalen Weg und Synodalen Prozess mitreden können und sich darauf einlassen, dann werden sie selbst erfahren, was gut und was richtig ist hinsichtlich all dieser Themen. Und dann werden sie auch aus Wissen, Vernunft und Verantwortung die nötige Zeit für Veränderungen sich und der Weltkirche gönnen. Sie werden die Möglichkeiten für Veränderungen erkennen und für die Grenzen Verständnis aufbringen.
Die Säkularisierung schreitet voran, doch das Bedürfnis nach Spiritualität bleibt. Wie kann sich die Kirche da positionieren?
Erzbischof Schick: Die Kirche muss eine geistliche Gemeinschaft sein, in allen ihren Gliedern. Das ist auch das wichtigste bei allen Reformen. Weniger Bürokratie mehr Spiritualität, weniger Institution mehr Frohbotschaft Jesu Christi, mehr Gemeinschaft mit Gott und untereinander, mehr Ökumene und interreligiöser Dialog.
Herr Erzbischof, die Zukunft naht in großen Schritten. Drei Dinge, die Sie sich für Ihre abschließenden Amtsjahre und die darauffolgende Zeit wünschen?
Erzbischof Schick:
- Bei aller Verkündigung: Frohbotschaft, nie Drohbotschaft!
- Bei allen Gottesdiensten: geistlich und lebensdienlich, nicht steif und zeremoniell!
- In Pastoral und Caritas: persönlich, authentisch und barmherzig, nicht institutionell und dienstlich!
Die Fragen stellten Andreas Kuschbert und Bernd Buchner.





